Daniel Hornuff

© Felix Grünschloß

Die Leichtigkeit des Signs

aus: KUNSTZEITUNG, Februar 2017, Nr. 246, S. 18.

 

Einen Brief zu schreiben bedeutet nicht nur, einen Text zu verfassen. Ebenso geht es darum, diesem Text ein bestimmtes Aussehen zu verleihen und ihn somit in seiner Wirkung zu stärken. So macht bereits die Gestalt eines Briefs deutlich, welchen Charakter die zugesandte Nachricht trägt: Wer – gefühlsübermannt – den Schriftzug durch Tränen verwischt, den Text im Anflug amourösen Überschwangs durch Kussmünder ornamentiert oder gar – mit existenzialistischem Pathos – Blut aufs Papier träufelt, nimmt den Empfänger in emotionale Haft. Die Kulturgeschichte ist reich gefüllt mit derartig dekorierten Briefen. Oft genug will der Absender mit der visuellen Ausstattung seiner Botschaft Zweifel an der Dringlichkeit seines Anliegens zerstreuen.

 

Vor diesem Hintergrund mag die Digitalisierung der Nachrichtenübermittlung als Verlust an Sinnlichkeit erscheinen: Seinen Kussmund erst auf Papier pressen, dann einscannen und schließlich in die E-Mail kopieren, würde mit Sicherheit das Gegenteil der betörenden Absichten bewirken. Und wer, wischend übers Smartphone gebeugt, seinen Tränen freien Lauf gewährt, dürfte durch drohende Hardwareprobleme zur direkten Mäßigung gemahnt sein. Ist digital also gleich seelenlos?

 

Keinesfalls. Vom analogen Brief zur digitalen Message vollzieht sich keine Verlust-, sondern allenfalls eine Wandlungsgeschichte. Das Emoji, das vor allem in Kommunikationsmedien wie WhatsApp und Facebook zum Einsatz kommt, beerbt die physische Spur des Briefeschreibers – und kodiert sie zugleich auf veränderte Weise: Keine Lippenstiftspuren mehr, sondern das Kuss-Emoji; keine Tränenflüssigkeit, dafür aber, herrlich dialektisch, das weinende Smiley; kein Blutstropfen mehr, stattdessen nun das Broken-Heart-Zeichen. Ein Tipp, ein Wisch, und schon erhält die gewünschte Nachricht eine emotionale Prägung.

 

Freilich mag das so standardisierte Emoji den Kulturkritiker erst recht auf den Plan rufen: War der Kussmund nicht ein individuelles Bekenntnis? – wohingegen das Piktogramm jedes Mal und bei jedem gleich erscheint? Immerhin zeigt es sich ja gerade nicht als Ausdruck einer persönlichen Haltung, sondern kondensiert eine nur ungefähre Gefühlsregung auf ein Symbol. Der Code verdrängt (wieder einmal) den Körper.

 

Doch eine solche Lesart – die selbst nur eine längst standardisierte Klagetradition wiederholt! –  verkennt die kommunikative Funktion, in die Emoticons und Emojis eingespannt werden. Wo der Kussmund die Botschaft stempelgleich zertifizieren soll und daher wie ein Schlussakkord unter den Textkorpus gesetzt wird, eignet sich das Emoji, in den Textfluss integriert zu werden. Nun nämlich soll das Zeichen nicht mehr (nur) beglaubigen, sondern nachgerade kommentieren. Das Emoji geht eine semantische Koalition mit dem Text ein. Erst einmal eingeflochten, übt das Bildzeichen einen sinnstiftenden Einfluss auf die Textnachricht aus – wie auch umgekehrt der sprachliche Inhalt das Zeichen determiniert.

 

Die Uniformität des Emojis ist also die Voraussetzung dafür, seine Nachricht durch eine Piktoralisierung zu individualisieren. Interessant ist daher, dass Emojis keinesfalls starre Bildtypen sind. Vielmehr befinden sie sich im steten Wandel. So variiert sowohl ihre konkrete Ausführung wie auch ihre Vielfalt stets zunimmt. Folglich verhält sich das Repertoire der Emojis analog zum Wandel der Kommunikationskultur, ja passt sich veränderten Bedürfnissen an und ermöglicht immer neue Formen der bildlichen Semantisierung.

 

Wie stark die Wirkung von Emojis inzwischen ist, lässt sich daran ermessen, dass sie längst zum Politikum geworden sind. Prominente, Amts- und Würdeträger müssen sich mittlerweile reiflich überlegen, welche Emojis sie öffentlich überhaupt noch posten können, um keine Entrüstung auszulösen. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt jüngst der Fall der amerikanischen Schauspielerin Ellen Pompeo: Einen eigentlich anti-rassistisch gemeinten Twitter-Post versah sie mit zwei schwarzen klatschenden Händen, was ihr einen Sturm der Entrüstung einbrachte: Wie konnte sie sich dieses Symbols bedienen, wo es doch die Möglichkeit gegeben hätte, durch zwei gelbe (nicht weiße!) Hände ein Zeichen von Neutralität zu setzen?

 

Dieses und viele andere Beispiele zeigen: Das Bildzeichen hat seine Unschuld verloren. Es ist zum vollwertigen Bestandteil der Alltagskommunikation gereift. Dass Menschen heute mehr denn je über Maschinen kommunizieren, ist nicht Folge einer Verlustentwicklung. Im Gegenteil: Eine neue und weithin kritische Bildpraxis ist im Kommen.