Daniel Hornuff

© Felix Grünschloß

Nachtrag zum ZEIT-Artikel "Entspannt Euch!"

Referenztext: Entspannt Euch!, aus: DIE ZEIT vom 24. August 2017, Nr. 35, S. 63.

 

Nach Erscheinen des Artikels gab und gibt es einige Nachfragen. Diese betreffen insbesondere den ersten meiner vier Punkte, die Frage nach der 'Kompetenzorientierung' der Geisteswissenschaften. Im Rahmen des Artikels war es schwierig, diesen Punkt in der erforderlichen Breite auszuführen. Daher nochmals der Versuch, die Perspektive zu klären: 

 

 

1. Kompetenzen nicht nur ökonomisch relevant

 

Wenn ich mich gegen das "modische Ideal der Kompetenzorientierung" ausspreche, dann nicht, um den Geisteswissenschaften die Entwicklung eigener Kompetenzprofile abzusprechen. Eine solche Ableitung wäre absurd und würde dem ursprünglichen Anliegen einer jeder Wissenschaft widersprechen.

 

Gemeint ist vielmehr, das geisteswissenschaftliche Denken nicht allein an der Frage nach seiner ökonomischen Verwertbarkeit auszurichten. Orientieren sich die Geisteswissenschaften zu strikt an ihrer wirtschaftlichen Potenz, unterwerfen sie sich der Hegemonie einer reinen Ertragslogik. Einsichten werden dann nicht mehr anhand ihrer inneren Plausibilität, sondern mit Blick auf ihren monetären Gewinn bewertet. Eine solche Verengung darf im Interesse keiner Wissenschaften liegen, da sie dazu führen würde, die Wissenschaften methodisch zu beschneiden, ihnen also Erkenntniswege zu verbauen. 

 

 

2. Auch die Theorie ist eine Praxis

 

Das heißt allerdings nicht, dass zwischen Theorie und Praxis ein kategorialer Unterschied bestehen würde. Ganz im Gegenteil: Regelmäßig wird übersehen, dass auch die Theorie nichts anderes als eine (gedankliche/mündliche/schriftliche/institutionelle) Praxis ist!

 

Entscheidend ist für mich in diesem Zusammenhang der Begriff der Erkenntnisbildung. Erkenntnisse fallen nicht vom Himmel und sind auch nicht urwüchsig vorhanden. Stattdessen werden sie je eigens gebildet, d.h. geformt. Eine theoretisch gewonnene Erkenntnis ist die (kontingente) Folge eines Entwurfsprozesses - und damit Ausdruck eines gestalterischen Verfahrens. Es bedeutet daher eine romantische Verklärung der (Geistes)Wissenschaften, wenn so getan wird, als bestehe zwischen Theorie und Praxis eine unüberwindbare Kluft.

 

 

3. Gedankliche Unabhängigkeit ist nie radikal

 

Fordere ich von Geisteswissenschaften gedankliche Unabhängigkeit, so meine ich damit gerade keine absolute Unabhängigkeit. Wie sollte sie auch je möglich sein! Kein Gedanke existiert einzig aus sich selbst heraus. Vielmehr flicht er sich in ein weitverzweigtes Netz aus persönlichen Anregungen, erlangten Erfahrungen, kulturellen Prägungen und situativ-sozialen Gegebenheiten ein. Eine gedankliche Unabhängigkeit ist daher immer relational zu anderen und anderem zu verstehen. Ich denke, also beziehe ich mich (auf jemanden/auf etwas)!